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Datum: 04.10.2021

Ehrenamt des Monats: Frauen unterstützen Frauen


Ulrike Jentzsch, Brigitta Gode und Gabriele Roseneck gehören zu den vielen Menschen, die sich 2015 meldeten, um Geflüchteten dabei zu helfen, in Wolfenbüttel Fuß zu fassen. Für viele hörte das Engagement nach einer Weile auf. Für Ulrike, Brigitta und Gabriele geht das Ehrenamt weiter, mit immer wieder neuen Projekten, die sich an den Bedarfen der von ihnen begleiteten Frauen orientieren.

Wie kamt Ihr zu eurem Ehrenamt?

„Als 2015 mein Schuldienst endete, suchte ich nach Möglichkeiten, mich zu engagieren. Damals suchte der Bürgertreff Salawo nach Personen, die Geflüchteten Sprachkurse geben konnten. In dieser Zeit war der Bedarf an Unterstützung ja sehr groß, und so fing ich an, im ehemaligen Waisenhaus Sprachkurse zu geben,“ so Ulrike Jentzsch, Grafikerin und im Berufsleben Lehrerin im Hauptfach Kunst. „Als auch ich 2015 in Rente ging, meldete ich mich bei der Freiwilligenagentur und fing zuerst an, in der Flüchtlingsunterkunft Okeraue bei der Ausgabe des Mittagsessens zu helfen“, ergänzt Brigitta Gode, pensionierte Sozialpädagogin, die im Berufsleben an Schulen tätig war. „Aber der Bedarf war dort begrenzt, sodass ich gerne dem Aufruf von Ulrike folgte und sie beim Unterrichten unterstützte, mittlerweile im Auftrag vom Bürgertreff Salawo und auch in den Räumen des Bürgertreffs“. Bald gesellte sich Gabriele Roseneck, ehemalige Musiklehrerin, dazu. Schnell wurde klar, dass die drei Frauen im Team sehr viel mehr erreichen konnten. Hauptsächlich im Auftrag vom Bürgertreff Salawo, engagieren sie sich bis heute immer wieder auf unterschiedlichen Ebenen.

Welche Projekte habt ihr gemeinsam durchgeführt?

Wir haben die Dozentin eines Integrationskurses für Frauen, den das BIZ im Salawo durchführte, durch weitere Aktivitäten begleitet. Spannend war unter anderem ein Kochbuch-Projekt, das dabei entstand. Jede Frau präsentierte ein Rezept aus ihrem Heimatland, das wir alle in der Salawo-Küche gemeinsam kochten. Die Rezepte wurden in einem gemeinsamen Kochbuch gesammelt und von den Frauen illustriert mit zum Teil beeindruckenden Bildern, die in einem Malkurs unter Anleitung von Ulrike Jentzsch entstanden waren. Wichtig ist für uns der Prozess gewesen. Immer wieder zentral sind die Gespräche, die dabei entstanden. Beziehungen wurden nach und nach aufgebaut, die bis heute tragend sind. Nicht nur gewannen die Frauen Vertrauen zu uns und öffneten sich, sondern auch wir selbst lernten viel dazu. Eine echte Beziehung kann nur auf Augenhöhe erfolgen und wir lernten, uns mit unseren eigenen Vorurteilen auseinanderzusetzen. Wir machten auch gemeinsam Ausflüge, nach Hannover oder gar Berlin, oder in den Harz. Eine einmalige Erfahrung! Von diesen Unternehmungen bleiben unvergessliche Erinnerungen.

Als die Räumlichkeiten im Salawo aus allen Nähten platzten – die Küche wurde für weitere Kurse gebraucht – überlegten wir uns, welche anderen Projekte wir durchführen könnten. So entstand das sehr beliebte Fahrradfahren-Projekt, das wir nun im dritten Durchgang einmal die Woche anbieten. Im Hinterhof des ehemaligen Waisenhauses lernen Frauen Fahrrad zu fahren und erlangen somit etwas mehr Unabhängigkeit. Die meisten kommen aus Ländern, in denen Fahrradfahren nicht üblich ist, zumindest bei Frauen. Eine Übersetzerin wird dabei als Honorarkraft über das Salawo eingesetzt. Das Projekt wird in Kooperation mit der Fahrradwerkstatt des Reparaturcafés durchgeführt, die von Ehrenamtlichen betrieben wird. Die Fahrradwerkstatt selbst hat mehrere Partner, wie das Zentrum für Umwelt und Mobilität (ZUM), den ADFC oder eben auch die Freiwilligenagentur. Durch diese Nähe zur Fahrradwerkstatt haben wir Zugang zu Fahrrädern und auch Unterstützung bei der Instandhaltung der Räder. Finanzielle Unterstützung bekamen wir für das Projekt von den Soroptimisten. Neue Gruppen werden von einer engagierten Polizistin besucht, die über Sicherheit im Verkehr aufklärt. Dieses Miteinander auf allen Ebenen ist im Stadtteil extrem wertvoll. Auch hier stellen wir fest, dass das Allerwichtigste für die Frauen ist, mit uns und miteinander ins Gespräch zu kommen. Die Begegnung steht immer im Vordergrund.

In der Corona-Pandemie durften viele Aktivitäten nicht mehr stattfinden, was für die Frauen auch schwierig war. Denn einigen geben diese Aktivitäten wirklich Halt. Zum Glück konnte in dieser schwierigen Zeit das Fahrrad-Projekt, wenn auch in reduzierter Form, weiterhin stattfinden, da es sich ja draußen abspielt.

Jetzt freuen wir uns, wieder neue Aktivitäten zu planen. Im Rahmen der interkulturellen Woche haben wir neulich, und dies zum zweiten Mal, in Kooperation mit dem Kunstbereich der vhs eine Kunstaktion für Frauen – einheimische und zugewanderte – durchgeführt. Die Ergebnisse kann man sich auf der Seite der VHS digital anschauen. 

Was könnt ihr ganz persönlich aus dem Ehrenamt ziehen?

Wenn wir sehen, wie unsere Unterstützung dazu beiträgt, dass Menschen hier Fuß fassen können, erfüllt es uns mit Freude. Seitens der Frauen erfahren wir viel Dankbarkeit, wir spüren aber auch selbst Dankbarkeit, dafür, dass wir eine sinnvolle Tätigkeit so ausführen können und daran viel lernen.

Echtes Miteinander in einer vielfältigen Gesellschaft funktioniert nur dann, wenn man sich gegenseitig persönlich kennenlernt, wenn man andere Kulturen kennenlernt. Unsererseits sind wir „milder“ geworden. Wir selbst lernen viel über unterschiedliche Werte, auch über unsere Eigenen. Es ist interessant, zu erleben, wie zum Beispiel Familienprobleme auf unterschiedlicher Art angegangen werden. Für die Frauen, die wir begleiten, steht der Familienzusammenhalt über allem. Wie wir generell mit unseren Alten umgehen, wie locker Familienbindungen für uns manchmal sind, kann wiederum für sie befremdlich sein.

Frauen melden uns ihrerseits, dass sie dank unserem Austausch feststellen, dass „nicht alle Deutsche“ so sind, wie sie es leider zu oft erleben: von distanziert über ablehnend bis sogar feindlich. Oft sind Missverständnisse im Spiel, auf beiden Seiten. Aber auch Diskriminierungen aller Art finden statt, zum Beispiel bei der Wohnungssuche. Darüber wird wenig geredet. Die diskriminierten Personen haben keine Lobby, keine Stimme.

Was wünscht ihr euch für die Zukunft?

Von den Bürger*innen von Wolfenbüttel mehr Offenheit auf Fremde zuzugehen. Mehr Begegnungen. Was anfänglich fremd wirkt, kann vertraut werden. Aus der eigenen Komfortzone raus zu gehen fühlt sich zuerst schwer an, wenn man es aber wagt, kann es bereichernd sein. Und auch Spaß machen!

Und so entsteht echtes Miteinander in der Stadt, was allen zugutekommt.

Das Gespräch führte Ghalia El Boustami