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Datum: 14.02.2022

Engagement des Monats Februar: Eva Birthler und MITEINANDER in Wolfenbüttel

Seit Jahren ist Eva Birthler ehrenamtlich aktiv. Ob als Umweltschützerin oder als Begleiterin einer Familie mit Fluchterfahrung, setzt sie sich für mehr Lebensqualität und ein besseres Miteinander im Stadtteil ein. Wir sprechen über ihr aktuelles Projekt: MITEINANDER in Wolfenbüttel.

Welches Ehrenamt führst du aus und wie kamst du dazu?

In meiner Berufstätigkeit als Koordinatorin des Ökumenischen Familienzentrums im Wolfenbütteler Stadtteil Nord-Ost wurde mir bewusst, wie viele Menschen einsam sind. Diese einschneidende Erkenntnis, die ich noch vor der Corona-Pandemie machte, gab mir den Impuls, etwas dagegen zu unternehmen. Pfarrer Matthias Eggers, der Initiator des Familienzentrums, berichtete darüber, wie verbreitet Einsamkeit sei und bestärkte mich in den Entschluss, da anzusetzen. Einsamkeit betrifft alle, aber noch stärker ist sie bei älteren Frauen zu finden, die alleine leben, wenig Rente beziehen und sich für ihre Familien eingesetzt hatten.

Wie ist MITEINANDER in Wolfenbüttel entstanden?

Wir starteten mit einem Team von fünf Personen, nun sind wir zu zweit. Helmut Daszkowski war von Anfang an dabei. Er ist immer da, kann wunderbar zuhören, anpacken und hat die Idee, ein Netzwerk für praktische Hilfen aufzubauen, eine Art Ambulanz. Wir starteten 2017 mit einer siebenwöchigen Aktion, bei der Menschen die Frage beantworten konnten: "Was wünsche ich mir im Stadtteil?" Es wurde klar, dass Begegnung der zentrale Aspekt sein sollte - Begegnung als Mittel gegen Einsamkeit. Die Aktionen dazu sollten möglichst kostenlos sein. Wir planten vielfältige Angebote, die mehrere Generationen ansprechen. Susanne Pensler, Koordinatorin des Stadtteiltreffs "Die Ulme", bot uns sogleich ihre Räume an. Seither genießen wir ihre Gastfreundlichkeit.
Der Aufbau war aufwändig. Wir erstellten Flyer, machten die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, führten zahlreiche Gespräche zur Vernetzung im Stadtteil Nord-Ost. Nun sind fünf Gruppen entstanden, die sich jeweils monatlich mit Helmuts und meiner Unterstützung oder in Eigenregie treffen. Der partizipative Ansatz war uns immer sehr wichtig.

Welche Gruppen gibt es im Moment?

Die älteste ist die Rudelsingengruppe "Vocalele". Es kommen jedes Mal von 10 bis 15 Menschen zusammen, auch in Coronazeiten fand das Singen von Juni bis November statt. Das Prinzip: Der Liedtext wird an die Wand projiziert, das Singen wird auf der Ukulele begleitet. Es wird nicht gewertet: jede*r darf nach Herzenslust singen, wie es ihm und ihr gefällt.
In der Gruppe Aktionen wird Neues ausprobiert und organisiert. Mal erzählte ein syrischer Imker über seine Bienen, dann wurde gemeinsam Honig geschleudert. Oder es wurden E-Bikes von Menschen ausprobiert, die sich die Anschaffung überlegten. Bei der Aktion unterstützte uns die Umweltschutzbeauftragte der Stadt Wolfenbüttel, Frau Münstermann-Kreifels. Auch Fahrradtouren werden in Zusammenarbeit mit dem ADFC angeboten.
Noch im Aufbau sind eine Buchgruppe und das Kreativtreff. Es geht darum, etwas Neues auszuprobieren, mehr als etwas Perfektes zu realisieren. Der Prozess ist ausschlaggebend. Geplant ist, in der Buchgruppe aus einem selbst gewählten Buch vorzulesen, um dann ins Gespräch zu kommen. Es geht immer um den Bezug zum eigenen Leben und um den Austausch.
Eine weitere Gruppe ist die Herzkammer: das Nachbarschaftstreff. Zu diesem Gesprächskreis hat sich mittlerweile eine schöne Gruppe zusammengefunden. Ein Platz zum Plaudern, was einen bewegt. Hier erlebt man die Automatisierung von Nachbarschaft. Was früher selbstverständlich war, muss wieder gelernt werden: nachfragen, wie es den Nachbar*innen geht, kleine Hilfe anbieten oder um Hilfe bitten. Die Gruppen verändern sich, das Nachbarschaftstreff wird bleiben.

Wie kam MITEINANDER Wolfenbüttel durch die Corona-Zeit?

Die Pandemie verstärkt die bestehende Einsamkeit, es ist dann besonders wichtig, in Tuchfühlung mit den Menschen zu bleiben. Im ersten Lockdown rief ich Besucher*innen an und fragte nur: "Wie geht es Ihnen/dir?". Diese für mich selbstverständliche Frage kam für manche völlig unerwartet. Es bewegt mich, dass die Angerufenen oft schon dankbar dafür waren, dass jemand sie wahrnahm. Es sind Menschen, die viel gegeben haben, Kinder erzogen haben, die jetzt weit weg leben; es sind zumeist Frauen. Frauen in Scheidung, Frauen, deren Mann verstorben ist. Frauen, die ein berufliches Leben hatten, sozial motivierte Menschen. Menschen, an denen man oft vorbeigeht.

Eva, du bist Soziawissenschaftlerin mit Leib und Seele. Ich habe dich als ausgezeichnete Netzwerkerin kennengelernt. Auch hast du die Begabung, herauszufinden, wo Menschen Fähigkeiten haben, die sie einbringen können. Was bringt dir das Ehrenamt?

Am meisten bereichern mich die neuen Kontakte. Ich habe durch das Ehrenamt viele Menschen kennengelernt, einige wurden zu Freund*innen. Ich lerne dazu, z.B. in der Konfliktbewältigung. Für mich als Pädagogin ist das sehr wertvoll. Ich habe gelernt, kleine Dinge wertzuschätzen. Ich freue mich, wenn Menschen etwas Schönes erlebt haben und ich dazu beitragen konnte.

Was wünschst du dir für MITEINANDER in Wolfenbüttel und allgemein fürs Ehrenamt?

Dass noch mehr Menschen im Stadtteil den Mut finden, den ersten Schritt zu uns zu machen. Wenn die erste Hürde überwunden ist, gern in Begleitung einer Nachbarin, findet man einen Ort, an dem man sein kann, wie man will. Jede*r kann was zum Gelingen der Gemeinschaft beitragen.
Ich wünsche mir, dass die Bedeutung des Ehrenamts in unserer Gesellschaft deutlich wird. Das Ehrenamt ist in Deutschland ein Riesenbereich, ein Träger der Demokratie. Es wird aber oft nur hingenommen. Ich wünsche mir, dass an Schulen, im Konfirmandenunterricht oder im Freizeitbereich über das Ehrenamt erzählt wird. Und dass mehr junge Menschen die Vorzüge davon erkennen und ihre Fähigkeiten für die Gesellschaft einbringen.

Das Gespräch führte Ghalia El Boustami