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Datum: 03.09.2021

Sonderausgabe August - Aus dem Urlaub ein Blick über den Tellerrand

Die Sommerpause ist eine gute Gelegenheit, über den Tellerrand zu schauen, neue Orte und neue Menschen zu entdecken. Auch im Urlaub kann man wunderbare Menschen treffen, die sich ehrenamtlich engagieren und so die Welt, in der wir leben, besser machen.

In der französischen Dordogne, im Périgord Noir lebt Herr Gérard Joguet. Am geselligen Tisch seiner „Table d'hôtes“ kommen wir ins Gespräch. Es gibt Käse mit selbst gesammelten Trüffeln, Entenleber – die Spezialitäten der Region.

Was für ein Ehrenamt führen Sie aus?

Täglich fahre ich zum Altenheim im nächsten Ort und besuche einige wenige Menschen, die keine Verwandte mehr haben und einsam sind. Einen älteren Mann besuche ich jeden Tag, auch nur kurz. Dabei höre ich meist nur zu – auch wenn sich die Geschichten oft wiederholen. Es geht in erster Linie darum, ihm zuzuhören. Zuhören ist lebenswichtig, zuhören ist heilsam! Wir lachen aber auch viel.

Wie kamen Sie zu diesem Ehrenamt?

Ich war lange Jahre Briefträger in dieser ländlichen Gegend. Im Laufe der Jahre haben sich viele menschliche Kontakte ergeben, von denen ich einige weiterhin pflege. Zum Beispiel bin ich mit einem erblindeten Mann befreundet, dem ich früher die Post brachte. Schon damals habe ich ihm dabei geholfen, seine Papiere in Ordnung zu halten und bei Bedarf Anrufe bei Behörden zu machen. An den Tagen blieb ich halt bei ihm etwas länger. Jetzt ruft er mich ab und zu an, ich komme rüber, helfe ihm und wir unterhalten uns ein bisschen. Damals in meiner Runde gab es eine alte Frau, bei der ich unbedingt Kaffee trinken musste. Es war eine willkommene Pause nach dem Anstieg einer steilen Straße – denn die Runde machte ich mit dem Fahrrad. Auch wenn ich etwas verspätet war, musste ich unbedingt mit ihr Kaffee trinken! Alles andere hätte sie gestört.
Nachdem ich in Rente ging, suchte ich nach Möglichkeiten, weiterhin mit Menschen zu tun zu haben. Denn mir wurde klar: ich liebte meine Arbeit, vor allem auch wegen der menschlichen Kontakte. So fuhr ich zum Altenheim und fragte die Leiterin nach Menschen, die gar keine Besuche erhalten. Das ist jetzt etliche Jahre her und ich fahre weiterhin jeden Tag hin.

Machen ihre jüngeren Kollegen und Kolleginnen ähnliche Erfahrungen in ihrem Beruf?

Leider viel zu selten. Der Beruf hat sich geändert, es ist alles viel stärker reglementiert. Wer zu viel Zeit für die Runde braucht, bekommt Probleme. Die Zeit für den Kaffee, für die kleine Hilfe bei alten Menschen ist nicht mehr drin. Einschreiben, die nicht sofort zugestellt werden können, müssen beispielsweise selbst abgeholt werden, manchmal ist das Postamt 10 km entfernt. Bei alten Menschen, die nicht mobil sind und keine Verwandten in der Nähe haben, ist es schwer. Früher habe ich zwei, dreimal probiert, bis ich die Person erreichte. Auch eine Art Apothekenservice habe ich bei alten Menschen eingerichtet: Rezept hin, Medikamente her. Heute ist das undenkbar, auch wegen Datenschutz. Das ist nicht unbedingt ein Fortschritt, finde ich. Jetzt mache ich diese Tätigkeiten ehrenamtlich. Für alte oder bedürftige Menschen bin ich gerne da.

Was gibt Ihnen das Ehrenamt?

Ich bin reich an Kontakten mit Menschen, das gibt mir Sinn. Die Qualität des Austausches, oder einfach das Lachen und Erzählen, das ist so wertvoll. Das Zuhören. Das ist für mich, Mensch zu sein. Ich habe selbst Schicksalsschläge erlebt und weiß über den Wert des Lebens. Ich habe mein Holzhaus selbst gebaut, habe ein paar Gäste in der Saison, habe einen Gemüsegarten, mache selber Seifen, Leberpastete, ernte Trüffel, verbringe Zeit mit meinen Kindern und Enkelkindern – mehr brauche ich nicht. Und das ist schon sehr viel. Ich bin ein glücklicher Mensch.

Was würden Sie sich wünschen?

Die Kriege auf der Welt, das ist richtig schlimm. Das muss einfach aufhören. Jeder kann seinen Beitrag dazu leisten, dass die Welt eine bessere wird. Machen Sie etwas, dass Sie noch nie gemacht haben, für die Menschen, die sie umgeben. Nehmen Sie sich Zeit. Hören Sie zu.

Das Gespräch führte Ghalia El Boustami