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Datum: 20.07.2021

Michaela Barnstorf - Ein Nachruf

Am 15. Mai 2021 verließ Michaela Barnstorf mit 70 Jahren diese Welt. Viele im Landkreis Wolfenbüttel und weit darüber hinaus werden sie in Erinnerung behalten als sehr engagierte, warmherzige, offene Person, die nie müde war, neue Wege zu gehen und Initiativen im Bereich der Sehbehindertenhilfe zu unterstützen. Dabei stand ihr ihr Mann Manfred Barnstorf, selbst sehbehindert, tatkräftig zur Seite.

Bei einem Hausbesuch erzählt Herr Barnstorf über das vielfältige Engagement seiner Frau. Die Wohnung über den Dächern von Wolfenbüttel ist hell, zwei Büros zeugen davon, dass hier viel gearbeitet wurde – und weiterhin wird. Auf dem Wohnzimmertisch liegen Dokumente in Punktschrift - „Das ist die ZEIT“, erklärt Herr Barnstorf. „Es ist wichtig, als sehbehinderter Mensch weiterhin das geschriebene Wort zu nutzen, denn die Sprache vernachlässigt man, wenn man ausschließlich mit dem Gehör arbeitet“.

Herr Barnstorf erzählt über seine Frau Michaela, die von Geburt an durch eine degenerative Netzhauterkrankung fast blind war. An ihrem Geburtsort in Bayern besuchte sie die Grundschule, später die Blindenschulen in Augsburg und München. Sie arbeitete zunächst im Landratsamt Mindelheim und ab April 1974 im Landkreis Wolfenbüttel als Schreibkraft. „Damals waren nur wenige Berufe für Sehbehinderte und Blinde zugänglich, meistens Schreibberufe, wie z.B. auch Stenotypist*in. Heutzutage können Sehbehinderte Jurist*innen, Sozialarbeiter*innen und vieles mehr werden“. An der Entwicklung in Richtung mehr Teilhabe und Barrierefreiheit für Sehbehinderte hat Michaela Barnstorf in vielerlei Hinsicht beigetragen.

Im Jahr 1976 übernahm Michaela Barnstorf die Leitung der Kreisgruppe Wolfenbüttel im Blinden- und Sehbehindertenverband Niedersachsen e.V. Fundiertes Wissen erwarb sie durch Schulungen und Weiterbildungen und konnte viele neu erblindete Menschen beraten, in den Gebrauch von Hilfsmitteln aller Art einweisen und bei Antragstellungen behilflich sein. Die Gruppe wuchs unter ihrer Leitung auf bis 80 Mitglieder an. Neben monatlichen Treffen und Mitgliederversammlungen war ihr auch die Förderung der Gemeinschaft durch Tagesausflüge und Wochenfahrten wichtig. Ganz besonders am Herzen lag ihr die Schulung des Tastsinns und der übrigen Sinne in speziellen Seminaren in der AURA-Pension Brockenblick in Wernigerode für neu erblindete Menschen. Als zertifizierte Punktschriftlehrerin erteilte sie vielen Menschen Unterricht in der Brailleschrift, unter anderem auch inklusiv beschulten Kindern. Frau Barnstorf war weiterhin Mitglied im Vorstand des Regionalvereins Süd-Ost-Niedersachsen und schätzte die Zusammenarbeit und den Kontakt mit den Selbsthilfegruppen sehr.

Der Tag des Ehrenamtes 2007 war etwas Besonderes für Frau Barnstorf. Für ihre vielseitige ehrenamtliche Tätigkeit erhielt sie am 6. Dezember die Ehrenamtskarte, und zwar vom damaligen Ministerpräsidenten Christian Wulff persönlich ausgehändigt. Herr Barnstorf erinnert sich an diesen ganz besonderen Moment in der Lindenhalle in Wolfenbüttel. „Meine Frau gehörte somit zu den ersten drei Personen überhaupt, die mit der Ehrenamtskarte ausgezeichnet wurden“, erklärt er. Im nächsten Jahr folgte eine weitere Ehrung. Im Braunschweiger Dom St. Blasii wurde Michaela Barnstorf am 5. Mai 2008 mit dem „Gemeinsam-Preis“ der Braunschweiger Zeitung für ihr ehrenamtliches Engagement für blinde und sehbehinderte Menschen ausgezeichnet.

Im Juni 2010 wurde Michaela Barnstorf als Mitglied in den neu gegründeten Beirat für Menschen mit Behinderung im Landkreis Wolfenbüttel gewählt und war viele Jahre die stellvertretende Vorsitzende. Hier setzte sie sich besonders für den barrierefreien Umbau des Bahnübergangs Bahnhofstraße, die Umgestaltung des Kornmarktes und Schlossplatzes sowie der Bushaltestellen ein. Auch die Installation von zahlreichen akustischen Ampeln in Stadt und Landkreis geht auf ihre Initiative zurück. Herr Barnstorf erinnert sich: „Wir waren Pioniere. Die allerersten zwei akustischen Ampeln befinden sich in der Breiten Herzogstraße, sowie in der Lindenstraße, in Höhe des Friedhofs. Das Signal klingt dabei wie ein Moped, so war es am Anfang, aber es funktioniert immer noch!“

Der Besuch geht zu Ende. Herr Barnstorf erzählt über die zahlreichen sehenden Freunde, die gemeinsam mit ihm die wertvolle Arbeit seiner Frau unterstützt haben. Neben Arbeit und Ehrenamt fanden beide auch Zeit für Theater- und Konzertbesuche sowie sportliche Aktivitäten: Wandern, Skilanglauf, Kegeln und Showdown – eine Art Tischtennis für Blinde.

Eine Weltkarte im Flur ist besonders beeindruckend. An vielen Stellen klebt ein Streifen mit Ländernamen in Punktschrift. „Es sind nicht alle drauf“, erklärt Herr Barnstorf. „Wir waren gemeinsam in rund 40 Ländern. Menschen und ihre Kultur haben uns immer neugierig gemacht.“ Dabei ging es sehr individuell zu, wie z.B. nach Usbekistan, mit sehbehinderten und sehenden Menschen gemeinsam. „Meine Frau hatte gerne viele Menschen um sich“, so Herr Barnstorf. Viele werden sich noch lange an ihre offene und angenehm einnehmende Art erinnern.

Das Gespräch führte Ghalia El Boustami.